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Wertvoller Zeitzeuge aus dem 17. Jahrhundert

Ist-Zustand

Vier Gebäudeteile aus verschiedenen Zeiten bilden ein Ensemble auf 285 m2 Grundstücksfläche. Das Vorderhaus wurde bereits um 1680 errichtet. Im hinteren Grundstücksbereich befand sich ein Stall. Später wurden zwei Mittelhäuser und ein Hinterhaus ergänzt. Die Gebäude sind alt und weisen deutliche Schäden auf, blieben aber von Bränden und Kriegseinwirkungen verschont. Entstehungsgeschichte 


Wer das Vorderhaus durchquert hat, erlebt einen Zeitsprung in das mittelalterliche Hannover: der an drei Seiten von Fachwerkfassaden gerahmte, zimmergroße Innenhof bietet einen imposanten Einblick in vergangene Lebenswelten. Foto-Impressionen


Zuletzt wurden die Gebäude für Wohn- und Gewerbe-Zwecke genutzt. Seit 2012 stehen sie leer. 

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Die Lage in der Calenberger Neustadt in Hannover

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Am Ende des 30jährigen Krieges wurde Hannover zur Residenzstadt der Welfen ernannt. Der Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen stieg rasch an. Betriebe, Verwaltungsleute und Bedienstete siedelten sich in der Neustadt an, in der Nähe des Leineschlosses. Ab 1650 stellte die Neustadt ihren Neubürgern Baugrundstücke unentgeltlich zur Verfügung, wenn sie diese innerhalb von zwei Jahren bebauten. Bis 1689 wuchs die Neustadt auf rund 3.200 Einwohner an. Durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg und die stadtplanerischen Umbaumaßnahmen der Nachkriegszeit wurde die Calenberger Neustadt weitgehend zerstört.


Heute ist die Calenberger Neustadt ein zunehmend beliebtes Wohn-, Geschäfts- und Regierungsquartier in der Innenstadt Hannovers mit zahlreichen Landesministerien in unmittelbarer Nachbarschaft. Mit dem Rückbau des Cityringes und der Aufwertung der Leineaue vor dem Hohen Ufer wird die Calenberger Neustadt wieder als Teil der historischen Altstadt wahrgenommen werden. 

Entstehungsgeschichte

m9_bauhistorie_entwurf-1886Als ältester Gebäudeteil entstand das Vorderhaus zwischen 1680 und 1685. Regional- und zeittypisch wurde das Haus als Stockwerksbau mit Eichenhölzern als Schwellen und in den Fassaden sowie Nadelhölzern im Innen- und Deckenbereich erstellt. Für Fundamente und Sockel im Erdgeschoss wurden Bruchsteine und Sandsteinblöcke verwendet. Vermutlich wurden einfach verglaste, zweiflügelige Fenster eingebaut. 

Der Bau wurde wahrscheinlich als reines Wohnhaus mit Sichtfachwerk ohne Unterkellerung ausgeführt. Die Struktur der Fassade zur Straße mit dem Schaufenster weist auf eine nachträgliche Veränderung der Fachwerkkonstruktion im Erdgeschoss hin. Ein Fassadenentwurf aus dem Jahr 1886 für den damaligen Eigentümer Haase zeigt das Gebäude noch unverputzt, jedoch bereits mit den heutigen Schaufenstern. Die heute sichtbaren dekorativen Elemente in der Fassade sind zeituntypisch, sie entsprechen in Art und Stil dem 19. Jahrhundert. 

Der Keller wurde wahrscheinlich nachträglich eingebaut. Er hat nur eine geringe Eingangshöhe von einer Stufe und keine Fensteröffnungen zur Straßenseite.

Im hinteren östlichen Gebäudeteil befand sich vermutlich der Kamin mit dem Herdraum. Daran schloss in der Regel die Wohn- und Arbeitsstube direkt an, um die Wärme des Feuers zu nutzen. Der Kamin erwärmte auch das obere Geschoss. Lehmbekleidungen und Einbauten unter dem Dach weisen auf einen ehemaligen Räucherbereich hin. Weitere Kamine wurden wohl erst später errichtet. Im Hofbereich befand sich vermutlich ein angebauter Bretterverschlag als Abort. Die Trinkwasserversorgung erfolgte über öffentliche Brunnen oder Hausbrunnen im Hof, während der Abfall in der Gosse entsorgt wurde.

 

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Vermutlich entstand bereits wenige Jahre nach dem Bau des Vorderhauses der erste Bauabschnitt des Hinterhauses im hinteren und nördlichen Bereich des heutigen Grundstücks Mittelstraße 9. Die Fundamente und die Konstruktionsweise der Keller, Erd- und Obergeschosswände deuten darauf hin, dass hier ursprünglich ein nicht unterkellertes Hinterhaus stand. Im Bebauungsplan von 1689 sind die Vorderhäuser 11 bis 9 bereits dargestellt sind, weitere Bebauung jedoch nicht. 

Die Dübelbalkendecke entspricht der üblichen Konstruktion des 17. Jahrhunderts, um größere Lastaufnahmen zu ermöglichen – ein Hinweis auf eine Nutzung als Nebengebäude oder eine gewerbliche Nutzung. Da die Decke nicht über die heutige gesamte Raumlänge verlegt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass das Hinterhaus später in Richtung Vorderhaus erweitert wurde. 

Bei der ursprünglichen Bebauung könnte es sich um Stallungen gehandelt haben, weshalb vermutlich keine Deckenlage erforderlich gewesen ist. Die zahlreichen Hufeisen in und am Gebäude könnten ein Indiz für eine Schmiede sein. 

 

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Der erste nachweisliche Eintrag über ein Gewerbe in der Mittelstraße 9 stammt aus dem Jahr 1764. Erstmals soll in dem Gebäude ein Kolonialwarenladen ansässig gewesen sein. Zu dieser Zeit sind vermutlich im Vorderhaus Veränderungen zur Ladenutzung erfolgt – zumindest innen im Erdgeschoss. Denkbar ist ebenfalls, dass weitere Lagerflächen im Hof entstanden sind und die vorhandene Hinterhausbebauung ergänzt wurde.  

Die südliche Erweiterung des Hinterhauses hatte einen Zugang über das Grundstück Mittelstraße 8. Hier waren schon 1689 neben dem Wohnbereich Gewerberäume einer Bäckerei mit Anbau zur Brandstraße entstanden. 1770 erwarb der Weinhändler Ahles die Nachbargebäude und eröffnete dort ein Geschäft. Es ist auch denkbar, dass der Weinhandel die Erweiterungsbauten der Mittelstraße 9 ursprünglich genutzt hat. 

 

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Wesentlichen Einfluss auf die Erweiterungsarbeiten am Hinterhaus könnte auch die privilegierte Mineralbrunnenhandlung des Hof-Brunnenmeisters Haase gehabt haben. Dieser pachtete ab 1801 für sechs Jahre zusätzlich ein Weinschankrecht. Vermutlich stammt aus dieser Zeit der dritte Erweiterungsbau zum heutigen Innenhof der Brandstraße 4 sowie eine Aufstockung um ein Geschoss und den Dachraum. 

Der Giebel zur Brandstraße verfügt lediglich über eine schmale Ziegelkellerwand als Gründung, während zu den Grundstücken Mittelstraße 10 und 8 keine Kellerwände, keine Gründung und auch keine Erdgeschosswände vorhanden sind. Denkbar ist, dass es sich hier zunächst um einen zu den Grundstücken Mittelstraße 8 und 10 offenen, aber überdachten Durchgang gehandelt hat, der Haase eine Nutzung des Hinterhauses als Weinlager ermöglichte. 

In dieser Zeit sind vermutlich auch erste Bereiche der beiden Mittelhäuser entstanden. Der an die Mittelstraße 10 angrenzende Bau muss dabei in mehreren Abschnitten entstanden sein. Hinweise geben die unterschiedlichen Deckenkonstruktionen des Erd- und Obergeschosses.  

Beide Mittelhäuser haben keine eigenen Giebelwände – sie sind über im 19. Jahrhundert übliche Stahlverbindungsmittel an der Giebelwand des Hinterhauses befestigt. Bei der Errichtung der Mittelhäuser sind erste gravierende Veränderungen der Dachkonstruktion im Vorderhaus vorgenommen worden. Im Mittelhaus Süd lässt sich im 1. Obergeschoss ein verschlossener Durchgang zum Hinterhaus erkennen.

 

 

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Am Ende des 19. und zu Beginn der 20. Jahrhunderts gab es weitere wesentliche Veränderungen im Erscheinungsbild auf der Straßenseite des Vorderhauses. Auch im Inneren erfolgten vermutlich größere Umbaumaßnahmen.

Ein Fassadenentwurf eines unbekannten Verfassers von 1886 zeigt eine Umbauplanung des damaligen Eigentümers und Hof-Brunnenmeisters Haase. Dieser Entwurf wurde nicht umgesetzt, stattdessen wurde das Fachwerk verputzt und mit zeittypischen Stuckelementen versehen. Aus dieser Zeit stammen vermutlich ebenfalls die Schaukastenanlage in der Gebäudetrennwand zur Mittelstraße 10 und die Deckenbekleidung des Erdgeschosses im Vorderhaus, ebentuell auch die jetzige Treppenanlage.

 

Ebenfalls aus dieser Zeit stammen vermutlich die beiden Kellerräume im Vorderhaus unter dem Ladenraum mit der preußischen Kappendecke. Da gemauerten Kappendecken mit Stahlträgern erst seit etwa 1895 bis 1930 eingebaut wurden, kann man von umfangreichen Änderungen im Kellerbereich ausgehen.

 

Auch die zur Standfestigkeit des Giebels angebrachten Stahlgurte und Stahlträger an der Giebelseite des Hinterhauses zur Brandstraße 4 sind vermutlich dieser Bauphase zuzuordnen.

 

Weitere Anbau- und Erweiterungsmaßnahmen hat es nach 1930 nicht gegeben. Lediglich im Innenraum wurden mehrere Renovierungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt. Zeitungsfunde mit Datierungen zwischen 1930 und 1970 an und in Wänden, Decken und Böden, die als Füll- und Dämmmaterial verwendet wurden, zeugen davon. 1962 wurde der Einbau des WCs im Vorderhaus mit Anschluss an die Entwässerung beantragt und genehmigt.

 

Aufgrund von Nachbarschaftsstreitigkeiten mit dem Eigentümer der Mittelstraße 10 und nach dem Abbrand des benachbarten Hinterhauses forderte die Bauaufsicht 1965 eine Reihe von brandschutztechnischen Ertüchtigungsmaßnahmen für das Hinterhaus. Die nachträglich eingebrachten Brandschutzbekleidungen sind noch in Teilbereichen erkennbar, wurden jedoch bereits größtenteils zwischen 2012 und 2014 vom damaligen Eigentümer entfernt.

 

Das Herstellungsdatum der Dachsteine im Vorderhaus und in den beiden Mittelhäusern weist auf eine Erneuerung der Dacheindeckung nach 1975 hin. Zwei kleinere Schleppgauben im straßenseitigen Dach des Vorderhauses wurden dabei zurückgebaut.

 

Ebenfalls nach 1975 sind alle Fensterflügel des Vorderhauses, der Mittelhäuser sowie einige Fenster des Hinterhauses durch nach innen öffnende isolierverglaste Fenster ausgetauscht worden. Die noch 1943 vorhandene Kastenfensterverglasung der Schaufenster im Erdgeschoss wurde vermutlich bereits vor 1970 zurückgebaut.

 

Vermutlich ebenfalls um 1975 wurden der Ladenbereich im Vorderhaus und die Wohnbereiche in den Mittelhäusern mit einer gedämmten Vorwandinstallation und abgehängten Decken versehen.  Die nach 1945 eingebauten Bekleidungen an Wänden, Decken und Böden sowie die gebäudetechnischen Versorgungsleitungen wurden zur Bauvorbereitung und zur Bestandsaufnahme zwischenzeitlich größtenteils rückgebaut.

 

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m9_Ansicht_1943

1934

1950

1970